DER Elias und ich
25+2 Jahre hat Steffi dieses Jahr gefeiert, ich bin erst seit einem Jahr in der Kantorei dabei. Direkt nach dem „Weihnachtsoratorium“ am 3. Advent 2021 macht die Nachricht die Runde: „Weißt du’s schon? Nächstes Jahr singen wir den Elias!“ „DEN Elias!“ Die Art, wie genau das immer wieder ausgesprochen wird, die Art, wie dabei geguckt wird, macht von Anfang an deutlich: „DER Elias“ ist etwas ganz Besonderes, ein Werk, bei dem (nicht nur) Chorsängerinnen und -sänger glänzende Augen bekommen.
Etwas später bei den ersten Proben liegt der neu erstandene Klavierauszug schwer in meiner Hand, 224 Seiten, die Chorstücke sind kaum zu zählen. Steffi ruft die Nummern in den Raum: Die 1 und die 20, die 5 und die 11, es sind viele Nummern. Am Anfang singen Anne, ebenfalls ziemlich neu im Sopran, und ich, ohne zu wissen was. Von Dürre und Verfolgung, von einem Baal, den wir nicht kennen, von Fluch und Feuer, Tod und Himmelfahrt. Wir singen nicht „Hülfe“, sondern „Hilfe“, setzen das „t“ wahlweise „auf die 1“ oder „auf die 4 und“, wir bitten, wir flehen, wir danken. Mal säuseln wir im pianissimo, mal sind wir so richtig blutrünstig.
Die Dramatik des Stückes wird früh deutlich, aber ebenso seine Herausforderungen. Wahlweise kommen wir bei den Sechzehnteln aus dem Takt, treffen manche Halbtöne nicht oder verpassen unseren Einsatz. Wir singen „Balerhöre“ statt „Baal, erhöre“, was bei Steffi nicht so gut ankommt. Zwischendurch lasse ich das hohe „a“ einfach mal weg. Meine „Barmherzigkeit“ wird so zur „Barm…zigkeit“. Merkt niemand, denke ich mir.
Ein Bleistift, ein gelber Textmarker und die Übe-CD aus dem Carus-Verlag werden meine „Elias“-Begleiter. Auf YouTube singt mir ein Wiener Chor das Oratorium vor. Die langen Sommerferien bremsen uns aus, aber das intensive Chor-Wochenende im Sauerland beschleunigt uns wieder. Jetzt sind auch die Plakate und Flyer da, die Werbung beginnt. „Weißt du‘s schon? Am 25. September singen wir DEN Elias“, höre ich mich sagen.
Im letzten Monat wird‘s ernst. „Ab sofort proben wir zweimal pro Woche“, schreibt Steffi im Chat. Heißt eigentlich: „Ihr seid noch nicht gut genug!“ Jetzt geht es ums Gefühl, um die Dynamik. Mein Bleistift macht Kringel ums „p“, ums „pp“ und ums „ff“. Und er macht Ausrufezeichen. Pause einhalten! Crescendo! Kein Ritardando!
Es ist die Zeit der Wiederholungen, immer und immer wieder. Und es ist die Zeit, in der in mir der Wunsch wächst, dieses besondere Stück endlich zur Aufführung zu bringen. Der Wunsch, das Orchester zu hören. Und endlich auch die Solistinnen und Solisten.
Schließlich ist das Konzertwochenende da. Bei der Hauptprobe denke ich: „Oh je!“ Die Erlöserkirche klingt so ganz anders. Wir stehen da und hören uns gegenseitig kaum. Doch dann ertönen bei der Generalprobe am nächsten Tag viermal die Hörner und Harald Martini stimmt an: „So wahr der Herr, der Gott Israels, lebet…“. Ich zeige Anne meinen Arm: Gänsehaut.
Der Chor ist bereit, alle spüren es. Wir wollen die Geschichte des Propheten erzählen, erst den Kindern, dann den Großen. Und gleichzeitig werden wir selbst angerührt: Von den Arien und Rezitativen, besonders vom ach so traurigen „Es ist genug“ des Elias in der Wüste.
Ja, wir haben „DEN Elias“ gesungen. Voller Freude, voller Spannung und voller Energie. Und es war einfach nur wunderbar.